Page 11 - Lauf, Jäger lauf! Petra Scheibe Teplitz
P. 11
solcher Scheibenspiegel 9 Ringpaare mit identi- gets“ aus den 1950er Jahren ein, mit denen der oder Kreiselscheiben oder durch Distanz- und ben (26 cm x 26 cm) für 50 Meter lange Entfernun-
schem Flächeninhalt enthält, von denen 5 nicht Künstler die Aufmerksamkeit auf die Rolle visueller Blickwinkeländerungen erzeugt werden können gen hat die Künstlerin die an Schießscharten erin-
überlappend sind. Des Rätsels Lösung lässt erken- Wahrnehmung richten wollte [2]: Als optischer Reiz (Bewegungsillusionen, optische Farbtäuschungen). nernde Balkenform herausgelöst und in neue rhyth-
nen, dass Zielscheiben nicht nur geometrische Ge- hat das kreisförmige Ziel keinen anderen Zweck, mische Strukturen überführt. Das Grundmuster be-
setzmäßigkeiten in sich bergen, sondern grund- als den Blick auf sich zu ziehen, und verhilft so zu Die Schießscheiben von Petra Scheibe Teplitz las- steht aus dem schwarzen Originalbalken, überlegt
sätzlich auch nach anderen Ordnungsprinzipien einer Bewusstwerdung des Sehprozesses. Ver- sen sich freilich nicht ohne weiteres in das obige, mit zwei seitenhalbierten schmaleren Balken in
umgestaltet oder abgewandelt werden können. wandte Gedanken standen bereits weit früher bei kunsthistorisch definierbare Zielscheiben-Oeuvre grüngrauer Farbe, die parallele, rechtwinklige oder
einordnen; auch fällt es schwer, die Objekte allein schräg schneidende Linien bilden. Durch die Varia-
mit den Kategorien der physiologischen Optik zu tion der Balkenanordnung entsteht so eine Serie
beschreiben. Zum einen ist die Schießscheiben- von unterschiedlichen, hierarchielosen Gerüsten,
Serie nicht auf die Kreisform beschränkt, sondern die das Schießscheiben Motiv in scherenschnittarti-
sie bedient sich des gesamten Repertoires von ger Form, vor kontrastierendem Original-Hinter-
Schützen verwendeter Hilfsmittel, die für die Ein- grund und auf Holzplatten montiert, als Bildgefüge
übung und Überprüfung von Schießfertigkeiten so- wiedergeben. Parallel dazu, gewissermaßen als
wie zum Einschießen von Schusswaffen genutzt Spiegelung, hat die Künstlerin dieselbe Werkgrup-
werden. Zum anderen geht es der Künstlerin nicht pe mit identischen Abmessungen in Gestalt von mit-
allein um die Darstellung oder Umwandlung geo- einander verbundenen schwarzen und grüngrauen
metrischer Formen, die man auf Schießscheiben Holzbalken als Wandobjekt reproduziert. Die Ver-
sieht, sondern der künstlerische Prozess motiviert bundinstallation vereint Motive, Stilmittel und Ge-
sich gerade durch die Beschaffenheit und Ge- staltungsprinzipien, die wir von früheren Werken
brauchsfunktion des Ausgangsmaterials, bevor der Künstlerin kennen: Geometrische Figuren, Prä-
dann eine Art Objekttransformation stattfindet, in- gnanz und Akribie, Vervielfältigung und Dekonstruk-
dem der Gegenstand auf gestalterische Weise sei- tion des Ausgangsmaterials (Motiv und Form), so-
nes ursprünglichen Charakters beraubt wird, ohne wie serielle Form der Darstellung.
dass die Spuren seiner Herkunft ganz verschwin-
den. Das Ergebnis dieses Prozesses mag zwar Eine weitere Werkgruppe basiert auf Ausbildungs-
auch visuelle Reize auslösen, doch der eigentliche scheiben (17 cm x 17 cm) für eine Entfernung von
Reiz des Ganzen liegt im Effekt der gestalterischen 10 Metern. Hier hat die Künstlerin die Original-Kar-
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Petra Robert Delaunay und seinen Kreisbildern Pate, ins- Umprägung des Fundobjekts „Schießscheibe“. ten auf Holztafeln gezogen und die Motive in Serie
Scheibe Teplitz in den Schießscheiben, gerade besondere bei seinem Werk „Le premier disque“ vervielfältigt, und zwar durch die rasterhafte Anord-
wegen ihrer Formenvielfalt und Ambivalenz, ein für (1913). Hier werde die Kreisform zum Seherlebnis, nung von fünf geometrischen Formen in 24 unter-
den künstlerischen Umgang geeignetes Medium urteilt die Kunstkritik [3]. Der Sehprozess des Be- Der vorliegende Katalog gibt einen Überblick über schiedlichen Farben. Der Effekt verleiht nicht nur
entdeckte, was bei ihr bedeutet, die Objekte mit trachters verschmelze geradezu mit der kreisförmi- die unterschiedlichen Werkgruppen und Einzelob- den Scheiben eine neue Dynamik, sondern erlaubt
gestalterischer Imagination und Akkuratesse in gen Struktur und den Farbräumen des Gemäldes. jekte der Schießscheibenserie. Im Einzelnen han- facettenreiche Abwandlungen als Stilmittel für die
einen neuen Kontext zu überführen, ohne dabei In der Tat hat man den Eindruck, dass das Gemälde delt es sich um die folgenden Arbeiten: Gestaltung einer Bilderformation, in der das einzel-
deren Provenienz zu verleugnen. in seiner Wahrnehmung eine Art statische Bewe- Zwei Werkgruppen befassen sich mit Übungs- und ne Objekt und Motiv gegenüber der Gesamtdarstel-
Zielscheiben-Objekte sind kunstgeschichtlich nichts gung erzeugt, vergleichbar mit den noch augenfälli- Ausbildungsscheiben. Bei den für Halteübungen lung zurücktritt. Die aus insgesamt 121 Teilen be-
Neues. Es fallen einem sofort Jasper Johns’ „Tar- geren Effekten, die durch die Rotation von Spiralen mit Luftpistolen vorgesehenen Ausbildungsschei- stehende Werkgruppe strahlt Farbenpracht und
9
8