Page 10 - Lauf, Jäger lauf! Petra Scheibe Teplitz
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solcher Scheibenspiegel 9 Ringpaare mit identi-       gets“ aus den 1950er Jahren ein, mit denen der                                                  oder Kreiselscheiben oder durch Distanz- und          ben (26 cm x 26 cm) für 50 Meter lange Entfernun-
       schem Flächeninhalt enthält, von denen 5 nicht        Künstler die Aufmerksamkeit auf die Rolle visueller                                             Blickwinkeländerungen erzeugt werden können           gen hat die Künstlerin die an Schießscharten erin-
       überlappend sind. Des Rätsels Lösung lässt erken-     Wahrnehmung richten wollte [2]: Als optischer Reiz                                              (Bewegungsillusionen, optische Farbtäuschungen).      nernde Balkenform herausgelöst und in neue rhyth-
       nen, dass Zielscheiben nicht nur geometrische Ge-     hat das kreisförmige Ziel keinen anderen Zweck,                                                                                                       mische Strukturen überführt. Das Grundmuster be-
       setzmäßigkeiten in sich bergen, sondern grund-        als den Blick auf sich zu ziehen, und verhilft so zu                                            Die Schießscheiben von Petra Scheibe Teplitz las-     steht aus dem schwarzen Originalbalken, überlegt
       sätzlich auch nach anderen Ordnungsprinzipien         einer Bewusstwerdung des Sehprozesses. Ver-                                                     sen sich freilich nicht ohne weiteres in das obige,   mit zwei seitenhalbierten schmaleren Balken in
       umgestaltet oder abgewandelt werden können.           wandte Gedanken standen bereits weit früher bei                                                 kunsthistorisch definierbare Zielscheiben-Oeuvre      grüngrauer Farbe, die parallele, rechtwinklige oder
                                                                                                                                                             einordnen; auch fällt es schwer, die Objekte allein   schräg schneidende Linien bilden. Durch die Varia-
                                                                                                                                                             mit den Kategorien der physiologischen Optik zu       tion der Balkenanordnung entsteht so eine Serie
                                                                                                                                                             beschreiben. Zum einen ist die Schießscheiben-        von unterschiedlichen, hierarchielosen Gerüsten,
                                                                                                                                                             Serie nicht auf die Kreisform beschränkt, sondern     die das Schießscheiben Motiv in scherenschnittarti-
                                                                                                                                                             sie bedient sich des gesamten Repertoires von         ger Form, vor kontrastierendem Original-Hinter-
                                                                                                                                                             Schützen verwendeter Hilfsmittel, die für die Ein-    grund und auf Holzplatten montiert, als Bildgefüge
                                                                                                                                                             übung und Überprüfung von Schießfertigkeiten so-      wiedergeben. Parallel dazu, gewissermaßen als
                                                                                                                                                             wie zum Einschießen von Schusswaffen genutzt          Spiegelung, hat die Künstlerin dieselbe Werkgrup-
                                                                                                                                                             werden. Zum anderen geht es der Künstlerin nicht      pe mit identischen Abmessungen in Gestalt von mit-
                                                                                                                                                             allein um die Darstellung oder Umwandlung geo-        einander verbundenen schwarzen und grüngrauen
                                                                                                                                                             metrischer Formen, die man auf Schießscheiben         Holzbalken als Wandobjekt reproduziert. Die Ver-
                                                                                                                                                             sieht, sondern der künstlerische Prozess motiviert    bundinstallation vereint Motive, Stilmittel und Ge-
                                                                                                                                                             sich gerade durch die Beschaffenheit und Ge-          staltungsprinzipien, die wir von früheren Werken
                                                                                                                                                             brauchsfunktion des Ausgangsmaterials, bevor          der Künstlerin kennen: Geometrische Figuren, Prä-
                                                                                                                                                             dann eine Art Objekttransformation stattfindet, in-   gnanz und Akribie, Vervielfältigung und Dekonstruk-
                                                                                                                                                             dem der Gegenstand auf gestalterische Weise sei-      tion des Ausgangsmaterials (Motiv und Form), so-
                                                                                                                                                             nes ursprünglichen Charakters beraubt wird, ohne      wie serielle Form der Darstellung.
                                                                                                                                                             dass die Spuren seiner Herkunft ganz verschwin-
                                                                                                                                                             den. Das Ergebnis dieses Prozesses mag zwar           Eine weitere Werkgruppe basiert auf Ausbildungs-
                                                                                                                                                             auch visuelle Reize auslösen, doch der eigentliche    scheiben (17 cm x 17 cm) für eine Entfernung von
                                                                                                                                                             Reiz des Ganzen liegt im Effekt der gestalterischen   10 Metern. Hier hat die Künstlerin die Original-Kar-
       Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Petra        Robert Delaunay und seinen Kreisbildern Pate, ins-                                              Umprägung des Fundobjekts „Schießscheibe“.            ten auf Holztafeln gezogen und die Motive in Serie
       Scheibe Teplitz in den Schießscheiben, gerade         besondere bei seinem Werk „Le premier disque“                                                                                                         vervielfältigt, und zwar durch die rasterhafte Anord-
       wegen ihrer Formenvielfalt und Ambivalenz, ein für    (1913). Hier werde die Kreisform zum Seherlebnis,                                                                                                     nung von fünf geometrischen Formen in 24 unter-
       den künstlerischen Umgang geeignetes Medium           urteilt die Kunstkritik [3]. Der Sehprozess des Be-                                             Der vorliegende Katalog gibt einen Überblick über     schiedlichen Farben. Der Effekt verleiht nicht nur
       entdeckte, was bei ihr bedeutet, die Objekte mit      trachters verschmelze geradezu mit der kreisförmi-                                              die unterschiedlichen Werkgruppen und Einzelob-       den Scheiben eine neue Dynamik, sondern erlaubt
       gestalterischer Imagination und Akkuratesse in        gen Struktur und den Farbräumen des Gemäldes.                                                   jekte der Schießscheibenserie. Im Einzelnen han-      facettenreiche Abwandlungen als Stilmittel für die
       einen neuen Kontext zu überführen, ohne dabei         In der Tat hat man den Eindruck, dass das Gemälde                                               delt es sich um die folgenden Arbeiten:               Gestaltung einer Bilderformation, in der das einzel-
       deren Provenienz zu verleugnen.                       in seiner Wahrnehmung eine Art statische Bewe-                                                  Zwei Werkgruppen befassen sich mit Übungs- und        ne Objekt und Motiv gegenüber der Gesamtdarstel-
       Zielscheiben-Objekte sind kunstgeschichtlich nichts   gung erzeugt, vergleichbar mit den noch augenfälli-                                             Ausbildungsscheiben. Bei den für Halteübungen         lung zurücktritt. Die aus insgesamt 121 Teilen be-
       Neues. Es fallen einem sofort Jasper Johns’ „Tar-     geren Effekten, die durch die Rotation von Spiralen                                             mit Luftpistolen vorgesehenen Ausbildungsschei-       stehende Werkgruppe strahlt Farbenpracht und
                                                                                                                             8                                                                                                                                 9
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